Führungskultur/Risiko-Entscheidungen: Wie viel „VW” dürfen SIE? + GmbH-Marketing: Die Unternehmens-PK im Livestream + Kündigungsschutz: Fremd-Geschäftsführer und Praktikanten zählen + Steuer-Strafverfahren: Wieder ein strittiger Fall aus der Praxis + Mitarbeiter: Abwerben gehört zum Geschäft + Wettbewerbsrecht: Prämien für Einhaltung der Preisbindung sind unzulässig + Mitarbeiter: Haben keinen Anspruch auf bezahlte Raucherpausen + Bürokratie: Neue Umsatzgrenzen für die GmbH-Größenklassen + BISS …
Der Volkelt-Brief 40/2015 > Download als PDF – lesen im „Print”
Freiburg 2. Oktober 2015
Sehr geehrte Geschäftsführer-Kollegin, sehr geehrter Kollege,
man darf wirklich gespannt sein, wie der „VW-Komplex“ aufgearbeitet wird. Juristisch, PR-technisch, unter Wettbewerbsaspekten usw. Und man muss davon ausgehen, dass die offen gelegte Manipulation nicht der einzige Lapsus ist, der in diesem Zusammenhang aufgedeckt wird. So werden ja auch die Verbrauchswerte moderner Kfz nicht nach Füllmengen im Tank sondern nach statistischen Durchschnittswerten anhand der geleitsteten Kilometer hochgerechnet. Auch in vielen anderen Bereichen geht es nicht mehr um Realitäten: So wird in der Lebensmittelbranche nicht wirklich im Labor getestet, sondern nach (zertifizierter) Aktenlage, siehe z. B. bei vielen Umwelt-Produkten (vgl. Nr. 14/2014) oder man nehme den Silikon-Skandal (vgl. Nr. 29/2015). Oder wenn der Kurs eine Aktie, die im Betriebsvermögen gehalten wird, zur Bewertung des Firmenvermögens ermittelt werden muss, schaut man ja auch nicht in den Index sondern lässt den Wahrscheinlichkeits-Rechner ans Werk.
Unschärfen sind für die Wirtschaft und für die verantwortlichen Handelnden (Geschäftsführer) nichts Außergewöhnliches. Ständig geht es um Einschätzungen und Bewertungen. Es gibt Spielräume, Gestaltungswahlrechte und Risiko-Entscheide. Damit umzugehen ist für die meisten Kollegen Alltag. Sie müssen den Grat zwischen kreativer Gestaltung, Risikoentscheidung und Fahrlässigkeit beherrschen. Das verlangen auch die Juristen von Ihnen. Es ist Ihre Entscheidung, welche Methoden Sie zur Markterschließung und Gewinnererzielung einsetzen.
Fazit: Um die ausgangs gestellte Frage mit einem abgewandelten Sprichwort zu beantworten: Aufrichtigkeit nimmt mittel- und langfristig (nachhaltig) existenzbedrohlichen Stress für den Entscheider und währt in der Regel länger.
GmbH-Marketing: Die Unternehmens-Pressekonferenz im Livestream
Pressearbeit und PR sind wichtig und gewinnen an Bedeutung. Z. B., wenn Ihr Unternehmen in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist und Sie neue Mitarbeiter brauchen. Regionale Presse und Journalisten haben jetzt schon Probleme damit, dass immer mehr Unternehmen in die Öffentlichkeit wollen. Immer mehr Pressemitteilungen gehen ein und müssen bearbeitet werden. Damit wird es für das einzelnen Unternehmen schwerer, eine Pressemitteilung zu platzieren. Eine gute Möglichkeit, der regionalen Journaille aufzufallen, ist es, Zahlen und Unternehmens-Neuigkeiten per Pressekonferenz vorzustellen und diese zeitgleich auch im Internet zu übertragen.
Vorteil: Der Journalist kann sich einen O‑Ton (z. B. des Geschäftsführers) via Internet besorgen und so die eigene Berichterstattung ohne großen Aufwand aufwerten. Nach dem „Livestream“ können Interessierte die Pressekonferenz anschließend auch auf Ihrer Website z. B. als Youtube-Clip jederzeit abrufen. Weiterer Vorteil: Potenzielle Mitarbeiter können die Geschäftsführung „live“ erleben und sich so einen (nicht ganz unwichtigen) atmosphärischen Eindruck von ihrem zukünftigen Arbeitgeber zu verschaffen.
Kündigungsschutz: Fremd-Geschäftsführer und Praktikanten zählen
Nach EuGH-Rechtsprechung zählen Fremd-Geschäftsführer und Praktikanten bei der Mitarbeiterzahl mit. Beispiel: Hat die GmbH 18 fest angestellte Mitarbeiter, einen Fremd-Geschäftsführer und 2 Praktikanten, ergibt das 21 Mitarbeiter. Folge: Das Kündigungsschutzgesetz gilt. Dann muss das Unternehmen z. B. bei mehreren Kündigungen eine sog. Massenentlassungsanzeige. Unterlassen Sie das, sind die Kündigungen unwirksam (vgl. Nr. 32/2015). Für die Praxis ist wichtig:
- Fremd-Geschäftsführer werden in Zukunft bei der Berechnung der Arbeitnehmeranzahl im Sinne des Kündigungsschutz-Gesetzes mitgezählt (!) und
- bezahlte Praktikanten werden ebenfalls mitgerechnet. Auch dann, wenn der Praktikant z. B. im Rahmen einer Umschulungsmaßnahme der BA tätig wird und nicht von Ihnen, sondern von der BA bezahlt wird.
Das Urteil des EuGH ist – da sind die Experten einig – auch auf das deutsche Arbeitsrecht anzuwenden. Gehen Sie davon aus, dass deutsche Arbeitsrichter ab sofort in diesem Sinne „zählen“ werden (EuGH, Urteil vom 9.7.2015, C‑229/14).
Steuer-Strafverfahren: Wieder ein strittiger Fall aus der Praxis
Seit letzter Woche läuft vor dem Landgericht Stuttgart das Steuer-Strafverfahren gegen einen Großmetzger aus Bietigheim-Bissingen und dessen Lebensgefährtin. Ihnen wird vorgeworfen, Steuern in Millionenhöhe hinterzogen zu haben. In den Jahren von 2004 bis 2009 sollen sie systematisch Körperschafts‑, Gewerbe‑, Umsatz- und Einkommenssteuer hinterzogen haben. Laut Anklage haben Sie die Kasse im Hauptgeschäft manipuliert und damit vorsätzlich gehandelt. Insgesamt beläuft sich der Hinterziehungs-Betrag auf rund 2,5 Mio. EUR. Damit drohen Haftstrafen.
Wir berichten an dieser Stelle immer wieder über solche Fälle, vgl. dazu die Berichterstattung zur Zulässigkeit von Schätzmethoden und zur Umsatzverprobung (vgl. Nr. 32/2015). Im angesprochenen Fall spricht der Anwalt von einseitigen Ermittlungen der Steuerprüfer, „bei denen teilweise rechtsstaatliche Grenzen überschritten wurden“. Wir gehen davon aus, dass die Vorgehensweise der Steuerprüfer im Verfahren angesprochen wird und sich Hinweise auf die Methoden der Steuerprüfung ergeben.
Mitarbeiter: Abwerben gehört zum Geschäft
Selbst wenn mit dem Verkauf des Unternehmens eine grundsätzliches Wettbewerbsverbot der Verkäufers vereinbart wird, ist das kein Hindernis, Mitarbeiter des verkauften Unternehmens abzuwerben. Diese Freiheit gehört zum Wettbewerb (OLG Oldenburg, Urteil vom 18.9.2015, 6 U 135/15).
Prämien für Einhaltung der Preisbindung sind unzulässig
Es verstößt gegen kartellrechtliche Bestimmungen, wenn Sie Prämien an die Händler zahlen, die Ihre Produkte dafür zu dem von Ihnen vorgegebenen Mindestpreis weitergeben (Landgericht Hannover, Urteil vom 25.8.2015, 18 O 91/15).
Mitarbeiter: Kein Anspruch auf bezahlte Raucherpausen
Unternehmen, die bisher Raucherpausen bezahlt haben, dürfen die Bezahlung einstellen und damit die Raucherpause in Zukunft nicht mehr als Arbeitszeit anerkennen. Der Mitarbeiter hat auch dann keinen Anspruch auf eine bezahlte Raucherpause, wenn das bisher betriebliche Übung war (Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 5.8.2015, 2 Sa 132/15).
Bürokratie: Neue Umsatzgrenzen für die GmbH-Größenklassen
Zum 1.1.2016 zählen neben den Umsätzen aus der typischen Geschäftstätigkeit auch alle anderen Umsätze für die Größenklassenbestimmung. Für die meisten GmbHs steigen die Umsätze. Im Grenzbereich führt das dazu, dass eine GmbH „größer“ wird – was aber meist durch die Erhöhung der Größenordnungskriterien kompensiert wird („kleine“ GmbH bisher bis 9.680.000 EUR, ab 1.1.2016 12 Mio. EUR Umsatz).
Mit besten Grüßen Ihr
Lothar Volkelt
Herausgeber + Chefredakteur