Ernstfall GF-Haftung: Die Lehren aus dem Fall „Wilke” + Planung 2020: Die Eckdaten für die „Planung im Kopf“ + Geschäftsführer-Perspektive: Mit dem Steuerprüfer im Internet unterwegs + Trends im Unternehmens-Recht: GmbH mit Immobilien – Share Deal kommt später + Digitales: Losgröße 1 statt Speed-Factory + BGH aktuell: Neuer Geschäftsführer-Status mit Minderheits-Beteiligung + BAG: Nebenbeschäftigung kein Grund für sachgrundlose Befristung + Wirtschaftspolitik: Keine Senkung der Unternehmenssteuern mit der SPD + Beratung: Rechtsanwalt muss auch Steuerberatung können + GmbH/Recht: Stimmrechtsvollmacht eines ausländischen GmbH- Gesellschafters + Mitarbeiter: Keine Entschädigung bei AGG-Missbrauch
Der Volkelt-Brief 47/2019 > Download als PDF - lesen im „Print”
Freiburg, 22. November 2019
Sehr geehrte Geschäftsführer-Kollegin, sehr geehrter Kollege,
nach den Listerien-Todesfällen durch verdorbene Fleischwaren der Fa. Wilke GmbH & Co. KG ist jetzt die Staatsanwaltschaft am Zug: Sie ermittelt gegen den Geschäftsführer Klaus Rohloff wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung. Unterdessen wurde der Geschäftsbetrieb geschlossen, es wurden geschäftliche Unterlagen sichergestellt. Auch in den Privaträumen des Geschäftsführers fanden Durchsuchungen statt. Dabei wurden erhebliche Missstände in den betrieblichen Abläufen öffentlich. Auch die Aufsichtsbehörden mussten unterdessen gravierende Fehler bei der Kontrolle einräumen.
Absehbar ist, dass das Verfahren gegen die verantwortliche Geschäftsführung gründlich und langwierig wird. Immerhin geht es um ein Strafmaß von bis zu 5 Jahren Haft. Augenzeugen berichten von untragbaren hygienischen Zuständen (Produkt- und Produzentenhaftung), fehlendem Fachpersonal (Pflicht zur Anleitung und Befähigung von Mitarbeitern) und permanentem Produktionsdruck (Organisationsverschulden) – Versäumnisse, die sich die Geschäftsführung ganz konkret zurechnen lassen muss. Insgesamt hat man den Eindruck, dass sich die Wilke-Geschäftsführung für die konkreten Produktionsabläufe vor Ort zu keinem Zeitpunkt interessiert hat. Das ist ein Fehler. Und ein Warnruf an die Kollegen/Innen, Geschäftsführung nicht „auf dem Papier” oder „aus der Notebook-Perspektive” zu praktizieren.
Planung 2020: Die Eckdaten für die „Planung im Kopf“
Planung beginnt im Kopf. Als Geschäftsführer Ihrer GmbH sind Sie nicht nur für das operative Geschäft zuständig. Schon jetzt geht es darum, die Eckdaten der mittel- und langfristigen Unternehmensplanung in konkrete Handlungsanweisungen für 2020 zu „übersetzen”. Zur Einstimmung in die Planung 2020 hier eine kurze Übersicht aller Eckdaten, die in den nächsten Wochen in die Projekte und Abteilungen eingebracht und mit den verantwortlichen Mitarbeitern festgemacht werden müssen:
- Unternehmensplanung: Vorjahresvergleich, Vollständigkeit, Realisierbarkeit, Portfolio, Abstimmung mit den Teilplänen Finanzen, Personal und Marketing.
- Marketing-Planung 1. Halbjahr 2020: Vorjahresvergleich, Innovationen und neue Maßnahmen, Abstimmung mit der Finanzplanung, Vollständigkeit: CI, CD, Einzelmaßnahmen, Vertrieb, Messen, PR, Kooperationen.
- Mitarbeiter-Gespräche/Zielvereinbarungen: Können in 2019 nicht alle Personalgespräche durchgeführt werden, sollte das bis Ende Januar nachgeholt werde Das betrifft alle Mitarbeiter mit Key-Funktionen und Personalverantwortung. Prüfen Sie, ob diese Gespräche auch in den Abteilungen/Projekten durchgeführt werden.
- Personalplanung: Maßnahmen zur Personalakquisition, Vergütungssysteme und ‑regelungen, Ausgliederung und Umstrukturierung von Prozessen.
- Weiterbildungs-Programme: Ermittlung des Weiterbeildungsbedarfs, Auswahl und Timing der Maßnahmen/Veranstaltungen. Das gilt auch für den Geschäftsführer selbst (Branchen Know-how, neue Märkte, Führungs-Know how).
- Urlaubsplanung: Bis Ende Januar sollte die Urlaubsplanung 2020 für das gesamte Unternehmen abgeschlossen sein. Geschäftsführer, die Ihren Urlaub in 2019 nicht antreten konnten, haben Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Besteht kein Anspruch laut Anstellungsvertrag, sollten Sie die Auszahlung (ab 1.4.2020) erst nach Rücksprache mit dem Steuerberater veranlassen.
- Steuerplanung 2020: Gewinnverwendung 2019 unter Berücksichtigung der steuerlichen Rahmenbedingungen, Gewinnausschüttungen an die Gesellschafter, Dynamisierung des Geschäftsführer-Gehalts, Maßnahmen zur Reduzierung der Gewerbesteuer (Zinsen, Pachten usw.).
- Terminplanung 2020: Festlegung der Termine/Milestones für die Aufstellung und Beschluss des Jahresabschlusses 2019, Aufstellung und Abgabe der Steuererklärungen 2019, Beschluss der Gesellschafterversammlung zur Feststellung des Jahresabschlusses 2019, Beschluss über die Gewinnverwendung. Termin: Planung 2. Halbjahr 2020.
Geschäftsführer-Perspektive: Mit dem Steuerprüfer im Internet unterwegs
Algorithmen können (fast) Alles. Kundenwünsche vor dem Kunden kennen und nicht mehr von den Augen ablesen müssen. Eine Geschäftsreise buchen, wenn Alexa mithört und die Terminabsprache flux umsetzt. Strittig ist, ob es möglich ist, aus einem Mix aus n‑Check, Whatsapp-Kommunikation und FB-Bild-Analyse potenzielle Steuersünder herauszufiltern. Also Verstöße gegen USt-Vorschriften, gefakte Umsatzzahlen oder gegen getürkte herauszufinden. In Frankreich jedenfalls laufen jetzt bereits erste Tests in diese Richtung. Schon wieder eine neue Yacht gekauft? Pech gehabt, wenn die Tochter ein Selfie mit neuem Freund und neuer Yacht im Hintergrund postet und dabei zugleich auch ihre neue Strandmoden-Kollektion an den Mann respektive Frau bringt. Oder wenn die PR eine Vertragsunterzeichnung preist, die Umsätze dazu aber in der Buchhaltung fehlen? Mal ganz real: Ab Sommer 2020 wollen die französischen Finanzbehörden – nach sorgfältiger Prüfung durch die Datenschutzbehörden und das Verfassungsgericht – einen solchen Algorithmus einsetzen. Bis zu uns ist dann auch nicht mehr weit. Mit den besten Grüßen.
Trends im Unternehmensrecht: Was Sie als Geschäftsführer veranlassen müssen
Betrifft … | Darum geht es … | to do … |
GmbH Grundstücke und Immobilien | Das Share-Deal-Vermeidungsgesetz wird nicht im Jahressteuergesetz 2019 umgesetzt, sondern in einem eigenständigen Gesetzespaket beraten und beschlossen werden. Vorteil: Es ist davon auszugehen, dass sich die GroKo doch noch nicht in absehbarer Zeit auf einen entsprechenden Gesetzestext einigen kann. (vgl. dazu unsere Gestaltungsüberlegungen aus Nr. 29/2019). | Stehen Dispositionen mit GmbH– Immobilien/Grundstücken (auch: vorweggenommene Erbfolge) an, ist zu prüfen, ob diese noch zeitnah umgesetzt werden (können). |
Digitales: So lesen sich die neuen Erfolgsgeschichten (Adidas)
Dass die Digitalisierung der Unternehmen nicht immer geradlinig zum Erfolg führt, zeigt jetzt die jüngste Entwicklung um die Adidas-Speed-Factories in Ansbach und Atlanta (USA). Beide Produktionsstätten werden geschlossen. Die komplette Produktion wird (vorerst wieder) nach Asien verlegt. In den Speed-Factories werden Sportschuhe im 3D-Druckverfahren produziert. Damit sollten die Produktionszeiten verkürzt und neue Produktlinien schneller umgesetzt werden. Statt in 18 Monaten sollten neue Sportschuh-Modelle innerhalb weniger Wochen entwickelt und vollautomatisch gefertigt werden.
Zusatzeffekt: Die Produktion findet dort statt, wo der Sportschuh getragen wird – Stichwort: hin zu den Abnehmermärkten. Dieser Digital-Traum ist ausgeträumt. Adidas gibt aber in Sachen digitalisierte Produktion keineswegs klein bei. Zusammen mit dem Technologie-Partner und Software-Spezialisten Oechsler wird jetzt an einer neuen digitalen Technologie gearbeitet. Ziel: Der individuelle Sportschuh wird just-in-time und vor Ort im Adidas-Sportgeschäft nebenan für den Kunden „gedruckt”. Die individuelle Maßanfertigung wird so die industrielle Massenfertigung ablösen – ein weiterer Schritt zur Losgröße 1.
BGH aktuell: Neuer Geschäftsführer-Status mit Minderheits-Beteiligung
Die betriebliche Altersversorgung von Arbeitnehmern ist seit 2018 insolvenzgeschützt. Nach einer GmbH-Insolvenz übernimmt der Pensionssicherungsverein (PSVaG) in der Regel die Zahlungsverpflichtung – finanziert aus den Arbeitgeberbeiträgen (BetrAVG). Regelmäßiges Problem nach der Insolvenz für den Geschäftsführer mit einer Minderheitsbeteiligung an der GmbH: Ist er Arbeitnehmer und damit auch insolvenzgeschützt oder nicht? Hierzu gibt es ein Richtung weisendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Aus dem Urteil: „Ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, der mit einem oder mehreren anderen Gesellschafter-Geschäftsführern 50 % der Geschäftsanteile hält und selbst nicht mit einem nur unbedeutenden Geschäftsanteil an der Gesellschaft beteiligt ist, ist keine arbeitnehmerähnliche Person” (BGH, Urteil v. 1.10.2019, II ZR 386/17).
Folge und Risiko: Ist für die Geschäftsführer-Pensionszusage keine (100%ige) Rückdeckungsversicherung abgeschlossen, hat der Geschäftsführer im Insolvenzfall nur Anspruch auf eine Quote. Er hat auch keinen Anspruch aus dem Betriebsrentengesetz, weil er keine „arbeitnehmerähnliche” Person ist. Das betrifft nach dem BGH-Urteil auch alle Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführer, die zusammen mit den anderen Geschäftsführern 50 % der Anteile halten und so Beschlüsse gegen die Geschäftsführung als Ganzes verhindern können.
BAG aktuell: Nebenbeschäftigung kein Grund für sachgrundlose Befristung
Handelte es sich bei dem vorangegangenen Arbeitsverhältnis um eine nur geringfügige Nebenbeschäftigung während der Schul‑, Studien- oder Ausbildungszeit, kann anschließend ein befristetes Beschäftigungsverhältnis mit dem Arbeitnehmer abgeschlossen werden. Die oben genannten Tätigkeiten fallen nicht unter das Verbot einer sachgrundlosen Befristung (BAG, Urteil v. 12.6.2019, 7 AZR 429/17).
Wirtschaftspolitik: Keine Senkung der Unternehmenssteuern mit der SPD
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat jetzt erneut bekräftigt, dass es mit ihm keine Senkung und/oder Reform der Unternehmensbesteuerung geben wird. Zitat: „Der internationale Steuerwettbewerb wird dazu führen, dass die nationalen Staaten nicht mehr in der Lage sein werden, ihre Aufgaben – Infrastruktur, Sicherheit und andere öffentliche Aufgaben – zu erfüllen. Irgendwer muss die Steuern zahlen, meistens die, die es besonders gut können”.
Beratung: Rechtsanwalt muss auch Steuerberatung können
Ein Rechtsanwalt haftet für vermeidbare steuerlich nachteilige Auswirkungen einer von ihm empfohlenen Vertragsgestaltung grundsätzlich auch dann, wenn eine Beratung in steuerrechtlicher Hinsicht nicht ausdrücklich Inhalt des ihm erteilten Mandats gewesen ist. Im Urteilsfall ging es um die Folgewirkungen einer Scheidung bzw. einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung. Nach Überlassung der Immobilien an die Ehefrau setzte das Finanzamt einen Veräußerungsgewinn fest und berechnete dafür Einkommensteuer. Der Anwalt hätte auf diese Steuerfolge von sich aus hinweisen müssen. Jetzt muss er den entstandenen Schaden wegen fehlerhafter Beratung aufkommen. Das gilt auch für dazu entstandene zusätzliche Gutachterkosten (OLG Rostock, Urteil v. 26.2.2019, 24 U 1/17).
GmbH/Recht: Stimmrechtsvollmacht eines ausländischen GmbH- Gesellschafters
Wird zur Gesellschafterversammlung der GmbH eine in chinesischer Sprache abgefasste Stimmrechtsvollmacht vorgelegt, dann genügt dies zur ordnungsgemäßen Vertretung eines Gesellschafters, wenn diese von einem vereidigten Dolmetscher übersetzt und die Übersetzung ebenfalls notariell beurkundet wird (OLG Bremen, Beschluss v. 14.2.2019, 2 W 66/18).
Mitarbeiter: Keine Entschädigung bei AGG-Missbrauch
Ein Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) besteht nicht, wenn sich ein Bewerber rechtsmissbräuchlich verhält. Das ist der Fall, wenn sich der Bewerber beim Arbeitgeber nicht bewirbt, um eine Stelle zu erhalten, sondern es ihm ganz offensichtlich darum geht, eine Entschädigung gerichtlich durchzusetzen. Der Bewerber hatte sich als Rentner ausgegeben – mit unzureichender Qualifikation und der Forderung nach Bereitstellung einer Wohnung in unmittelbarer Nähe zur Betriebsstätte. Der Arbeitgeber teilte daraufhin mit, dass der Bewerber nicht in die nähere Auswahl einbezogen wird. So – das Gericht – geht es nicht (Arbeitsgericht Bonn, Urteil v. 23.11.2019, 5 Ca 1201/19).
Einen guten Start in ein erholsames Wochenende wünscht
Ihr
L. Volkelt
Dipl. Volkswirt, Herausgeber + Chefredakteur Volkelt-Brief