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Volkelt-Briefe

Wettbewerbsrecht: Gericht stoppt Kartell-Strafen-Willkür

Die Pra­xis der euro­päi­schen und deut­schen Kar­tell­be­hör­den, auch mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men ins Visier zu neh­men, gerät …

immer mehr in die Kri­tik (vgl. zuletzt Nr. 18/2013). Zuletzt hat­te der Frank­fur­ter Kar­tell­recht­ler Jens Ste­ger moniert, dass die deut­schen Kar­tell­be­hör­den Infor­ma­tio­nen aus lau­fen­den Kar­tell-Ver­fah­ren öffent­lich machen bzw. ins Inter­net stel­len. Bei die­ser Art Trans­pa­renz im Ver­fah­ren über­se­hen die Behör­den, dass damit zugleich auch unter­neh­mens­in­ter­ne Infor­ma­tio­nen (Geschäfts­ge­heim­nis­se) öffent­lich wer­den, ohne dass dies im Rah­men eines gesetz­lich vor­ge­se­he­nen, geschwei­ge denn zuläs­si­gen Ver­fah­rens geschieht.

Unter­des­sen hat sich auch der Euro­päi­sche Gerichts­hof (EuGH) ganz grund­sätz­lich zum Ver­fah­rens­ab­lauf geäu­ßert. 3 Unter­neh­men (hier: Kup­fer-Rohr­ver­bin­dun­gen) hat­ten der Bestra­fung durch die Euro­päi­schen Kar­tell­be­hör­den wider­spro­chen und in ers­ter Instanz vor dem Euro­päi­schen Gericht (EuG) erreicht, dass die ver­häng­ten mil­lio­nen­schwe­ren Geld­bu­ßen aus­ge­setzt wur­den. Begrün­dung: Feh­ler im Ver­fah­ren. Jetzt hat der EuGH im Revi­si­ons­ver­fah­ren die­se Rechts­la­ge bestä­tigt (EuGH, Urteil vom 4.7.2013, C‑287/11 P). Bemer­kens­wert:

  1. Das Euro­päi­sche Gericht prüf­te das Beweis­erhe­bungs­ver­fah­ren durch die Kar­tell­be­hör­den. Fazit: Stel­lung­nah­men von den beschul­dig­ten Per­so­nen (Ver­triebs­lei­ter) über Preis­ab­spra­chen wer­den unkri­tisch über­nom­men und ent­las­ten­de Aus­sa­gen wur­den nicht aus­rei­chend gewürdigt.
  2. Das über­prü­fen­de Gericht kommt abschlie­ßend zu dem Urteil, dass im Kar­tell­ver­fah­ren „Indi­zi­en ver­kannt und Tat­sa­chen ver­fälscht“ wur­den. Außer­dem gebe es in den Begrün­dun­gen „wider­sprüch­li­che“ Aus­füh­run­gen zum Bestand und zur Zusam­men­set­zung des (ver­meint­li­chen) Kartells

Immer­hin geht es hier nicht um Pea­nuts. Gegen die betrof­fe­nen Unter­neh­men wur­de eine Kar­tell­stra­fe von ins­ge­samt ca. 100 Mio. ver­hängt. Das Kar­tell­amt hat­te das Ver­fah­ren im Rah­men der Kron­zeu­gen­re­ge­lung geführt. Danach bleibt das anzei­gen­de Unter­neh­men straf­frei. Das anzei­gen­de Unter­neh­men ist in der Regel auch Teil des ver­meint­li­chen Kar­tells, ist also bran­chen­zu­ge­hö­rig und pro­fi­tiert letzt­lich auch wett­be­werb­lich davon, wenn die beschul­dig­ten Kon­kur­renz-Unter­neh­men bis zu 10 % Ihres Umsat­zes als Stra­fe zah­len müssen.

Genau­so pro­ble­ma­tisch ist es, dass Preis­dik­ta­te im Kar­tell­recht kei­ne Rol­le spie­len. Z. B., wenn ein Groß­ab­neh­mer (Auto­mo­bil­in­dus­trie) sei­nen Zulie­fe­rern Preis­vor­ga­ben für bestimm­te Kom­po­nen­ten macht und einer der Zulie­fe­rer (z. B. ein chi­ne­si­sches Pla­gi­at) anschlie­ßend als Kron­zeu­ge gegen die deut­schen Kon­kur­ren­ten auf­tritt, um die­se im Wett­be­werb aus­zu­ste­chen. Nicht weni­ge mit­tel­stän­di­sche deut­sche Unter­neh­men ken­nen die­se Problematik.

Für die Pra­xis: Das Gericht wür­digt die im Kron­zeu­gen­ver­fah­ren vor­ge­leg­ten Beweis­mit­tel nach rechts­staatlichen Kri­te­ri­en. Danach muss das Kar­tell in einem Beweis­ver­fah­ren nach­ge­wie­sen wer­den, dass objek­ti­ven, nach­voll­zieh­ba­ren Kri­te­ri­en stand­hält. So genügt es nicht, wenn hand­schrift­li­che Noti­zen vor­ge­legt wer­den oder wenn Mes­se­tref­fen von Ver­triebs-Mit­ar­bei­tern statt­ge­fun­den haben, dies als Anhalts­punkt für ein Kar­tell zu wer­ten. Die Kar­tell­be­hör­den müs­sen kon­kre­te Preis­ver­ein­ba­run­gen ken­nen und nach­wei­sen kön­nen. Betrof­fe­ne deut­sche Unter­neh­men kön­nen in Zukunft davon aus­ge­hen, dass alle Gerich­te die Ver­fah­ren und Maß­nah­men der (auch der deut­schen) Kar­tell­be­hör­den stren­ger unter die Lupe neh­men werden.

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