Die EU-Kommission hat 622 Mio. EUR Bußgelder gegen 17 Sanitär-Hersteller verhängt. Verfahren ud Beweisführung sind kaum transparent – wie es heißt fanden keine Anhörungen statt. Was tun? >
Zum Hintergrund: Im Jahr 2002 hat die EU-Kommission die Übernahme des deutschen Sanitär-Herstellers Hansgrohe durch den amerikanischen Masco-Konzern genehmigt. Einige Zeit später hat die Geschäftsleitung von Masco der EU-Kommission Informationen aus Branchen-Gesprächen gegeben. Die EU-Wettbewerbshüter sehen darin Branchen-Absprachen und haben millionenschwere Bußgelder verhängt, insgesamt 622 Mio. EUR (max. 10 % eines Jahresumsatzes aus den Absprache-betroffenen Produkten des betroffenen Unternehmens). Masco wurde die Strafe erlassen – als Dankeschön für die Zusammenarbeit mit den europäischen Behörden. Wehe dem, der Böses dabei denkt.
Das US-Kartellrecht kennt nur das vertikale Monopol oder Kartell. Danach dürfen staatliche Behörden nur dann in den Markt eingreifen, wenn es eine beherrschende Stellung des Unternehmens von der Produktion bis zur Verwertung gibt, vergleichbar einem Energie-Monopol, das vom Kraftwerk bis zur Tankstelle Alles betreibt. Ein Anschwärzen von Wettbewerbern bei staatlichen Behörden wie im oben geschilderten Fall macht dabei keinen Sinn. Europäisches Kartellrecht tickt da anders. Es errechnet horizontale Marktanteile. Mit der Folge, dass sich die Konkurrenten bei den Behörden anschwärzen dürfen (mit der Kronzeugenregelung seit 2002: sollen) und die Kartellbehörden von Amts wegen tätig werden. Ganz schön blauäugig die europäischen Behörden. Dabei sollten sie sich eigentlich um unsere europäischen Interessen kümmern. Soweit die theoretische Ausgangslage.
Für die Praxis: Ganz praktisch müssen sich auch mittelständische Unternehmen auf solche Behörden-Querschläger einstellen. In der Regel entscheidet die Behörde – wie oben auch – nach Aktenlage. Eine Anhörung der Betroffenen ist im Verfahren nicht zwingend vorgesehen. Betroffene Unternehmen können sich in der Regel nur mit einem aufwändigen gerichtlichen Verfahren wehren – mit in der Regel „schwierigen“ Erfolgsaussichten. Die deutschen und europäischen Kartellvorschriften sind (weit) interpretierbar. Das Prozessrisiko liegt beim Unternehmen. Bis zum Gerichtsentscheid muss für das Bußgeld dennoch eine Bürgschaft gestellt werden.
Seit 1.6.2010 gelten die neuen Vorgaben der sog. Gruppenfreistellungsverordnung (vertikal-GVO). Danach können die Behörden unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmeregelungen von den Kartellvorschriften zulassen, seit 1.6. auch für Unternehmen unter 100 Mio. Jahresumsatz (z. B. Absprachen über Rabatte, Höchstpreise; nicht aber: Mindestpreise).
Wichtig: Nehmen Sie regelmäßig an Branchen-Erfa-Treffen teil, müssen Sie aufpassen. Vorsicht mit Protokollen und anderen schriftlichen Aufzeichnungen. Achten Sie darauf, dass keine geschäftlichen Unterlagen wie Kalkulationen, Vertriebsstrategien usw. (etwa per eMail) an nicht autorisierte Firmen oder Personen herausgehen. Weisen Sie alle Mitarbeiter entsprechend ein.
Weiterführend: Befugnisse der Kartellbehörden > hier anklicken
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