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Archiv: Volkelt-Briefe

Volkelt-Brief 44/2015

Volkelt-FB-01Rein­fall: Wie die Bera­ter das Hess-Manage­ment aus­he­bel­ten + Recht­spre­chung: Wich­ti­ge neue Urtei­le für Geschäfts­füh­rer im Über­blick + „Theo­rie”: Wie viel Geld braucht man zum Glück? +  Neue Metho­den: Wie Steu­er­prü­fer Nach­zah­lun­gen durch­set­zen + GmbH-Recht: Pflicht­of­fen­le­gung ist juris­tisch „durch“ + Gold­esel: Dau­er­haf­ter Ver­lust­aus­gleich in der kom­mu­na­len GmbH + Pau­ken­schlag: Soli­da­ri­täts­zu­schlag kommt erneut auf den Prüf­stand + BISS

 

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Frei­burg 30. Okto­ber 2015

Sehr geehrte Geschäftsführer-Kollegin, sehr geehrter Kollege,

der­zeit müs­sen sich der Juni­or- und der Finanz­chef der Fa. Hess AG aus dem Schwarz­wald vor dem Land­ge­richt ver­ant­wor­ten. Vor­wurf: Bilanz­fäl­schung, Bank­rott, Untreue, schwe­rer Betrug, Kre­dit- und Sub­ven­ti­ons­be­trug (vgl. Nr. 9/2013). Es dro­hen Haft­stra­fen. Laut Staats­an­walt­schaft ist die Geschäfts­füh­rung u. a. dafür ver­ant­wort­lich, dass die Eigen­ka­pi­tal­quo­te mani­pu­liert wur­de. Die­se wur­de im Jahr 2007 mit 62% statt mit tat­säch­li­chen 59 % aus­ge­wie­sen. 5 Jah­re spä­ter klaff­te bereits eine rie­si­ge Lücke: Laut Bilanz betrug die EK-Quo­te plus 66 %. Die Son­der­prü­fer stell­ten dage­gen einen Fehl­be­trag von minus 57 % fest.

Fol­ge: Insol­venz des Fami­li­en-Unter­neh­mens und anschlie­ßen­de Über­nah­me durch einen Inves­tor. Raus aus den Schlag­zei­len die­ses Fal­les sind die Bera­ter des Unter­nehmens.  Aller­dings gab es vor dem Bör­sen­gang der Fami­li­en-GmbH Hin­wei­se, dass den Inha­bern Ver­trags- und Fir­men­kon­struk­te emp­foh­len wur­den (Schein­ge­schäf­te). Da kamen die Mani­pu­la­ti­ons­ge­rüch­te den Inves­to­ren recht. Absturz des Kur­ses, Abbe­ru­fung der geschäfts­füh­ren­den Fami­li­en-Gesell­schaf­ter bei anschlie­ßen­der Über­nah­me des Unter­neh­mens zum Nied­rig­kurs. Eine bewähr­te Metho­de, Hid­den Cham­pi­ons zu kapern. Wir sind gespannt, was dazu im Straf­rechts­ver­fah­ren auf­ge­deckt wird.

Vor­sicht vor Finanz­in­ves­to­ren, die den Unter­neh­mer mit der Aus­sicht auf „das ganz gro­ße Rad“ in die fal­sche Rich­tung lot­sen. Wir haben in der Ver­gan­gen­heit schon mehr­fach auf sol­che Fäl­le hin­ge­wie­sen (Märk­lin, Trumpf). Selbst der erfah­re­ne Mit­tel­ständ­ler ist in der Regel dem Kon­sor­ti­um aus inter­na­tio­na­lem Con­sul­ting, Inves­to­ren, Wirt­schafts­prü­fern und anwalt­li­cher Fach­beratung nicht gewach­sen. Wich­tig ist: 1. Holen Sie Refe­ren­zen zum Inves­tor und sei­nen Bera­ter­teams ein, die Sie zusam­men mit Ihren Bera­tern befra­gen, hören und bewer­ten. 2. Ver­las­sen Sie sich auf kei­nen Fall aus­schließ­lich auf die Bera­ter, die der Inves­tor mit ins Boot neh­men will. 3. Besor­gen Sie sich eige­ne Bera­ter, die Erfah­run­gen auf Augen­hö­he haben und 4. Sam­meln Sie zunächst mit dem Inves­tor gemein­sa­me Erfah­run­gen im ope­ra­ti­ven Geschäft, bevor Sie einen Umbau des Unter­neh­mens in Angriff nehmen.

Wichtige neue Urteile für Geschäftsführer im Überblick

Das wohl fol­gen­schwers­te Urteil für Geschäfts­füh­rer kommt vom Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH). Der rückt den Geschäfts­füh­rer wei­ter in Rich­tung Arbeit­neh­mer – mit Aus­wir­kun­gen auf den Kün­di­gungs­schutz. Laut EuGH muss der Geschäfts­füh­rer bei der Ermitt­lung des Per­so­nal­stan­des mit­ge­zählt wer­den. Sie müs­sen davon aus­ge­hen, dass auch die deut­schen Arbeits­ge­rich­te die­se Sicht­wei­se auf­neh­men und in zukünf­ti­gen Kün­di­gung­schutz-Ver­fah­ren umsetzen.

Betrifft Sum­ma­ry Gericht
Teil­ein­künf­te­ver­fah­ren Der mit 1 % und mehr betei­lig­te Gesell­schaf­ter, der in der GmbH mit­ar­bei­tet, kann auch dann die Besteue­rung nach dem für ihn güns­ti­ge­ren Teil­ein­künf­te­ver­fah­ren ver­lan­gen, wenn er kei­nen maß­geb­li­chen Ein­fluss auf die Füh­rung der Geschäf­te hat BFH, Urteil vom 25.8.2015, VIII R 3/14
Gerichts­zu­stän­dig­keit Wird der Geschäfts­füh­rer eines Ver­ban­des abbe­ru­fen und gekün­digt, hat er grund­sätz­lich die Mög­lich­keit, vor einem Arbeits­ge­richt gegen die Kün­di­gung vorzugehen. BAG, Urteil vom 8.9.2015, 9 AZB 21/15
Pen­si­ons­zu­sa­ge Die Erdie­nenskri­te­ri­en für eine Pen­si­ons­zu­sa­ge an den Gesell­schaf­ter-Geschäfts­füh­rer einer GmbH kön­nen dann erneut ange­legt wer­den, wenn sich der Pen­si­ons­an­spruch des Geschäfts­füh­rers auf­grund einer außer­ge­wöhn­li­chen Stei­ge­rung sei­nes Gehalts sehr stark erhöht. BFH, Urteil vom 20.5.2015, I R 17/14
Amts­nie­der­le­gung Legt der Geschäfts­füh­rer sein Amt berech­tigt und aus wich­ti­gem Grund nie­der (z. B. gesetz­wid­ri­ge Anwei­sun­gen der Gesell­schaf­ter bzgl. des Jah­res­ab­schlus­ses), dann kann die GmbH ein im Anstel­lungs­ver­trag ver­ein­bar­tes nach­ver­trag­li­ches Wett­be­werbs­ver­bot nicht mehr durchsetzen. OLG Cel­le, Urteil vom 24.9.2013, 9 U 121/12
Jah­res­ab­schluss Selbst wenn der Steu­er­be­ra­ter die Offen­le­gung des Jah­res­ab­schlus­ses bereits in Rech­nung gestellt hat, das Bun­des­amt für Jus­tiz (BfJ) aber die bis dahin unter­blie­be­ne Offen­le­gung anmahnt, müs­sen Sie als Geschäfts­füh­rer der Sache nach­ge­hen. Wenn Sie nicht inner­halb der 6‑Wochenfrist nach­bes­sern und den Jah­res­ab­schluss kor­rekt ver­öf­fent­li­chen, müs­sen Sie das ange­ord­ne­te Ord­nungs­geld bezahlen. OLG Köln, Urteil vom 1.7.2015, 28 Wx 8/15
Kün­di­gungs­schutz Geht es um die Beschäf­tig­ten­zahl eines Betrie­bes müs­sen Geschäfts­führer und Prak­ti­kan­ten mit­ge­zählt wer­den. Hat der Betrieb z. B. 19 Ange­stell­te und einen (Fremd-) Geschäfts­füh­rer und einen Prak­ti­kan­ten, ergibt das 21 Beschäf­tig­te. Wer­den die Mit­ar­bei­ter ent­las­sen, besteht Anzei­ge­pflicht. Unter­lässt der Geschäfts­füh­rer das, sind die Kün­di­gun­gen unwirksam. EuGH, Urteil vom 9.7.2015, C‑229/14

Theorie”: Wie viel Geld braucht man zum Glück?

Mit der Ver­lei­hung des Nobel-Prei­ses für Wirt­schaft wur­de jetzt wie­der ein­mal bestä­tigt: Lei­der sind es oft nur Bin­sen­weis­hei­ten, die mit theo­re­ti­scher und empi­ri­scher For­schung unter­legt wer­den und weni­ger pra­xis­re­le­van­te The­men – sei es zur Beherr­schung von Finanz­kri­sen, zum Span­nungs­ver­hält­nis von Finanz- und Real­wirt­schaft oder zur Ver­tei­lungs­theo­rie, die mit dem Preis aus­ge­zeich­net wer­den. Nicht des­to trotz hat sich Angus Dea­ton mit der Fra­ge von Geld und Glück aus­ein­an­der­ge­setzt. Wie hal­ten Sie es damit? Deaton´s Erkennt­nis: Ab einem Jah­res­ein­kom­men von 75.000 $ steigt das Glücks­ge­fühl nicht mehr. Im Prin­zip deckt sich das mit der Aus­sa­ge, „das zwei­te Glas Was­ser bringt weni­ger Nut­zen als das ers­te“ (abneh­men­der Grenz­nut­zen). Laut BBE-Gehalts­stu­die ver­dien­ten GmbH-Geschäfts­füh­rer 2014 im Durch­schnitt 196.000 $. Das soll­te zum Glück genügen.

In der Tat haben die Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten und ins­be­son­de­re die klas­si­sche Volks­wirt­schafts­leh­re wie sie in Deutsch­land betrie­ben wer­den, kei­nen beson­de­ren Ruf bei den Prak­ti­kern aus der Wirt­schaft. Kri­ti­siert wer­den vor allem die Theo­rie­las­tig­keit und die Nähe zur Poli­tik. Vie­le mit­tel­stän­di­sche und klei­ne­re Unter­neh­mer sehen sich und den Mit­tel­stand außen vor bei den meis­ten For­schungs­pro­jek­ten – mit der Fol­ge, dass der Mit­tel­stand von der Poli­tik zwar in Sonn­tags­re­den vor­kommt, nicht aber tat­säch­lich im Fokus der Wirt­schafts­po­li­tik steht.

Neue Methoden: Wie Steuerprüfer Nachzahlungen durchsetzen

Gibt es bei einer Betriebs­prü­fung Abwei­chun­gen von den Wer­ten der finanz­amt­li­chen Richt­sät­ze, wer­den die Umsät­ze „ver­probt“, d. h. nach oben gerech­net. Mehr als ärger­lich ist es aber, wenn die Umsatz­schät­zun­gen ein­fach unrea­lis­tisch hoch ange­setzt wer­den. So ist z. B. jetzt ein Fall bekannt gewor­den, wonach die Betriebs­prü­fer den Jah­res­um­satz eines mitt­le­ren Gas­tro­no­mie­be­trie­bes um jähr­lich 500.000 EUR hoch­ge­rech­net haben. Über 3 Jah­re errech­ne­ten die Prü­fer dar­aus eine Umsatz- und ESt-Schuld von zusätz­li­chen 700.000 EUR.

Die Gesell­schaf­ter-Geschäfts­füh­re­rin war ver­ständ­li­cher­wei­se  geschockt – weil die vor­ge­rech­ne­ten Wer­te mit der vor­han­de­nen Kapa­zi­tät gar nicht zu erwirt­schaf­ten war und weil die­se For­de­rung nicht nur zur Insol­venz son­dern zur Exis­tenz­ver­nich­tung geführt hät­ten. Die­ser Schweb­zu­stand dau­er­te fast ein hal­bes Jahr, bevor die Prü­fer im Schluss­ge­spräch einen Kom­pro­miss vor­schlu­gen. Danach soll­te die Nach­zah­lung nur noch 50.000 EUR (!) betra­gen und in monat­li­chen Raten von 350 EUR abge­zahlt wer­den. Das ist gera­de ein­mal 1/12 der ursprüng­lich genann­ten Forderung.

Fazit: Bei einer so hohen Abwei­chung der Beträ­ge ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass hier Druck aus­ge­übt wer­den soll­te, um „Macht zu demons­trie­ren“ und gezielt einzuschüchtern.

U. E. han­delt es sich bei einer solch gra­vie­ren­den Abwei­chung nicht mehr nur um einen Kal­ku­la­ti­ons­feh­ler. Das ist zumin­dest ein leicht­fer­ti­ger Miss­brauch des Ermes­sens­spiel­raums der Behör­de. Mehr noch: Es muss davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass die­ser Rück­zie­her nur gemacht wur­de, weil offen­sicht­li­che Fehl­ein­schät­zun­gen der Prü­fer von „oben“ kor­ri­giert wur­den und man kei­nen Prä­zen­denz­fall haben woll­te. Zuletzt hat­te der Bun­des­fi­nanz­hof (BFH) die über­zo­ge­ne Schätz­men­ta­li­tät der Finanz­be­hör­den abge­mahnt und in Schran­ken ver­wie­sen (vgl. BFH, Urteil vom 25.3.2015, X R 20/13, Nr. 32/2015). Hier ist in ers­ter Linie der Steu­er­be­ra­ter gefor­dert, umfang­rei­che Ver­gleichs­zah­len vor­zu­le­gen – auch aus eige­nen Recher­chen – und ggf. die Öffent­lich­keit herzustellen.

GmbH-Recht: Pflichtoffenlegung ist juristisch „durch“

Auch unter dem Gesichts­punkt des Ver­trau­ens­schut­zes gibt es kei­ne Aus­nah­me von den Ver­öf­fent­li­chungs­pflich­ten für älte­re Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten (Bestand vor 2007). Auch das Sank­ti­ons­ver­fah­ren ist juris­tisch nicht zu bean­stan­den. Selbst der Hin­weis auf das gegen die Pflicht­ver­öf­fent­li­chung anhän­gi­ge Beschwer­de­ver­fah­ren wegen Ver­sto­ßes gegen die Men­schen­rech­te vor dem Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH) recht­fer­tigt eine Aus­set­zung des Ver­fah­rens nicht (OLG Köln, Beschluss vom 9.7.2015, 28 Wx 6/15).

Damit sind auch die letz­ten Ver­su­che geschei­tert, die Pflicht­of­fen­le­gung des Jah­res­ab­schlus­ses für Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten zu kip­pen. Im Beschluss wei­sen die Köl­ner Rich­ter aus­drück­lich dar­auf hin, dass es kei­ne ver­fas­sungs­recht­li­chen Beden­ken gegen die bestehen­den Publi­zi­täts­pflich­ten gibt.

Goldesel: Dauerhafter Verlustausgleich in der kommunalen GmbH 

Wer­den Dau­er­ver­lus­te einer kom­mu­na­len GmbH von einer Öffent­li­chen Kör­per­schaft über­nom­men, führt dass nicht zu einer ver­deck­ten Gewinn­aus­schüt­tung, wenn eine Gesell­schaft zwi­schen­ge­schal­tet wird (FG Müns­ter, Urteil vom 18.8.2015, 10 K 1712/11 Kap).

Das Urteil ist aller­dings noch nicht rechts­kräf­tig. Das Finanz­ge­richt Müns­ter hat aus­drück­lich Revi­si­on zuge­las­sen, um den Sach­ver­halt höchst­rich­ter­lich klä­ren zu las­sen. Wir hal­ten Sie auf dem Laufenden.

Paukenschlag: Solidaritätszuschlag kommt erneut auf den Prüfstand

Das Finanz­ge­richt (FG) Nie­der­sach­sen ist in einem Ver­fah­ren zur Zuläs­sig­keit des Soli­da­ri­täts­zu­schlags (erneut) der Über­zeu­gung, dass die Erhe­bung des Soli­da­ri­täts­zu­schlags ver­fas­sungs­wid­rig ist. Das Gericht hat jetzt im Ver­fah­ren gegen einen Steu­er­be­scheid aus dem Jah­re 2012 so ent­schie­den. Die­ses wird nun abschlie­ßend in der Sache ent­schei­den müs­sen (FG Nie­der­sa­chen, Urteil vom 22.9.2015, 7 V 89/14).

Damit lie­gen BVerfG unter­des­sen gleich meh­re­re Ver­fah­ren zum Soli­da­ri­täts­zu­schlag zur Ent­schei­dung vor (auch FG Nie­der­sach­sen, 7 K 143/08). Das Gericht ließ sich bei der Ent­schei­dungs­fin­dung auch aus­drück­lich nicht davon beir­ren, dass es zu einem Steu­er­aus­fall und Rück­zah­lungs­an­sprü­chen in Mil­li­ar­den­hö­he kom­men könn­te. Der Rechts­an­spruch des Steu­er­zah­lers hat nach Auf­fas­sung der Han­no­ve­ra­ner Rich­ter ein­deu­tig Vor­rang. Akten­zei­chen des anhän­gi­gen BVerfG-Ver­fah­rens: 2 BvL 6/14.

 

Mit bes­ten Grü­ßen Ihr

Lothar Volkelt

Her­aus­ge­ber + Chefredakteur

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